Häusliche Gewalt

Gewalt in den eigenen vier Wänden

Häusliche Gewalt, Gewalt im sozialen Nahraum, Gewalt in der Familie, Gewalt in Ehe und Partnerschaft: Wie man es auch nennt – all diese Begriffe beziehen sich auf eine ähnliche Problematik. Gemeinsam ist diesen Begriffen, dass die Gewalt im privaten Raum ausgeübt wird und zwischen den Betroffenen eine emotionale Bindung und Abhängigkeit besteht.

 


«Gewalt gegen Frauen
ist die vielleicht schändlichste aller Menschenrechtsverletzungen. Sie kennt keine Grenzen, weder geographisch noch kulturell, noch im Hinblick auf materiellen Wohlstand. Solange sie anhält, können wir nicht behaupten, dass wir wirklich Fortschritte in Richtung Gleichstellung der Geschlechter, Entwicklung und Frieden machen.»

(Kofi Annan, New York, 2000)

Sie vermuten häusliche Gewalt in Ihrem Umfeld? Christoph Braun, Gruppe Gewaltschutz Luzerner Polizei, zeigt auf, wie die Polizei vorgeht.

Was ist häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt liegt vor, wenn Personen innerhalb einer bestehenden oder aufgelösten familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung physische, psychische oder sexuelle Gewalt ausüben oder androhen. 

Besondere Merkmale häuslicher Gewalt:

  • Die Gewalt wird meist in der eigenen Wohnung ausgeübt, die als Ort von Sicherheit, Geborgenheit und Zugehörigkeit verstanden wird.
  • Ein Machtgefälle wird ausgenutzt.
  • Zwischen Täter (seltener Täterin) und Opfer besteht eine emotionale Bindung. Auch mit einer Trennung oder Scheidung ist diese oft nicht gelöst. Trennungsabsichten und Trennungen haben häufig sogar stärkere Gewalt zur Folge.
  • Die Gewalt hört nicht von selbst auf, sondern nimmt in der Regel an Häufigkeit und Schwere zu.

Von Streit, Gewalt und Misshandlung
Streit benennt eine Auseinandersetzung zwischen Personen, die ungefähr gleich stark sind. Meist werden in solchen Interessenkonflikten keine gewalttätigen Mittel eingesetzt.

Es kommt jedoch vor, dass ein solcher Streit in einen tätlichen Konflikt mündet und Gewalt eingesetzt wird. Untersuchungen – vor allem aus den USA – zeigen auf, dass in vielen Beziehungen Wut, Ärger und Frustrationen aggressiv ausgedrückt werden, von Männern wie von Frauen. Diese tätlichen Auseinandersetzungen haben in der Regel keine schweren Verletzungen zur Folge und die Betroffenen bezeichnen sich nicht als misshandelt oder unterdrückt.

Eine Misshandlung liegt dann vor, wenn bei ungleichen Machtverhältnissen (z.B. Körperstärke, Waffenbesitz, alleinige Verfügung über Geld, CH-Pass etc.) die stärkere Person diese Mittel einsetzt, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Macht und Kontrolle werden systematisch angewendet, um die andere Person in eine unterlegene Position zu bringen.

Häusliche Gewalt hat viele Gesichter

  • Physische Gewalt: Schlagen, Treten, Würgen, mit einem Gegenstand verletzen, Verbrennen etc.
  • Psychische Gewalt: Beschimpfen, Erniedrigen, Drohen, für verrückt erklären, Kinder als Druckmittel benutzen, Sachen absichtlich beschädigen etc.
  • Sexuelle Gewalt: zu sexuellen Handlungen zwingen, vergewaltigen etc.
  • Soziale Gewalt: Kontakte verbieten, sozial isolieren, einsperren, Sprachkurs verbieten etc.
  • Ökonomische Gewalt: Geld entziehen, verbieten oder zwingen zu arbeiten etc.

Wer ist betroffen?

Von häuslicher Gewalt sind in unserer Gesellschaft hauptsächlich Frauen und Kinder, seltener Männer betroffen. Nach bisherigen Forschungen und Erfahrungen sind bei Gewalthandlungen in Paarbeziehungen mehrheitlich Frauen die Opfer:

  • Für Frauen besteht das grösste Gewaltrisiko durch aktuelle oder ehemalige Beziehungspartner und durch Familienangehörige.
  • Kinder sind von häuslicher Gewalt immer mitbetroffen, sei es, indem sie direkt Gewalt erleiden oder als Zeugen indirekt Gewalt miterleben.
  • Für Männer besteht das grösste Gewaltrisiko durch andere Männer – Bekannte und Fremde.

Betroffene Frauen
Jede fünfte Frau in der Schweiz hat im Laufe ihres Lebens körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch einen Partner erlebt. Gemäss Eidgenössischem Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann stirbt alle zwei Wochen eine Person infolge häuslicher Gewalt, darunter pro Jahr vier Kinder. Jede Woche erfolgt ein Tötungsversuch.

Werden gewaltbetroffene Frauen gefragt, wann die Gewalt durch ihren Partner angefangen habe, so fällt es vielen schwer, den Beginn der Gewaltanwendung genau zu bezeichnen, vor allem, wenn es um psychische Gewalt geht. Tatsächlich ist es für Frauen nicht einfach, versteckte Formen der Gewalt als solche zu erkennen, denn oft sind sie mit positiv besetzten traditionellen Werten bezüglich Mann-Sein und Frau-Sein, mit Liebe und Ehe verbunden. Unbemerkt wird der «ritterliche Beschützer» zum kontrollierenden Ehemann, wandelt sich grenzenlose Verliebtheit in Eifersucht und Besitzansprüche. 

Die meisten Frauen, die Gewalt durch ihren Partner erleben, sind nicht schon am Anfang mit körperlichen Übergriffen konfrontiert. In vielen Beziehungen bleibt es bei der psychischen Gewalt. Dort, wo Frauen aber körperlich misshandelt werden, treten diese Gewaltakte praktisch immer kombiniert mit psychischer Gewalt auf. Die psychische Gewalt dient dazu, Macht und Dominanz in der Beziehung zu gewinnen oder zu behalten, die Frau zu schwächen und ihr Selbstwertgefühl anzugreifen. Gewalttätige Männer gehen selbstverständlich davon aus, dass die Frauen sich ihnen unterzuordnen haben.

Betroffene Kinder
Kinder sind von häuslicher Gewalt immer mitbetroffen und sind in jedem Fall mittendrin. Sie können direkt betroffen sein, indem sie Gewalt an der eigenen Person erleben. Sei es körperlich durch Schläge und Schütteln, psychisch durch Drohungen, Beschimpfungen und Demütigungen oder sexuell.

Kinder erfahren aber auch indirekte Gewalt, wenn sie Gewalt unter den Erwachsenen miterleben, also Zeuginnen oder Zeugen von Gewalt zwischen den Eltern werden. Es ist ihr Vater, der ihre Mutter schlägt. Und es ist ihre Mutter, die vielleicht verletzt ist und weint. Einige Kinder stellen sich zwischen die Eltern und versuchen, den Streit zu beenden oder ihre Mutter zu schützen. Einige kümmern sich um die jüngeren Geschwister. Andere Kinder können gar nicht mehr reagieren und denken sich weit weg an einen schöneren Ort. Nicht selten kommen Gewalt gegen die Mutter und Gewalt gegen die Kinder in denselben Familien vor. Zu sehen, dass eine geliebte Person bedroht oder geschlagen wird, erzeugt bei Kindern grossen Stress. Sie machen sich Sorgen und möchten die Person schützen. Hinzu kommt, dass der Ort, der ihnen Sicherheit und Geborgenheit geben sollte, zu einem bedrohlichen und unsicheren Ort wird. 

Kinder, die mit häuslicher Gewalt aufwachsen, sind bereits bei kleineren Auseinandersetzungen in Alarmstimmung. Es ist unbestritten, dass die Kinder oft unmittelbar nach einem Vorfall von Gewalt Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen oder Albträume haben und heftige, ungewohnte Emotionen zeigen. Es gibt aber kein eindeutiges Verhalten – jedes Kind ist und reagiert anders. 

Häusliche Gewalt stellt ein grosses Risiko für die altersentsprechende Entwicklung von Kindern und Jugendlichen dar und kann diese ernsthaft und nachhaltig beeinträchtigen. Gerade wenn die häusliche Gewalt in den ersten Lebensjahren passiert, kann das lebenslange Folgen haben. Oft meinen die Eltern, das Kind habe die Misshandlungen nicht mitbekommen, weil es zu klein sei oder zu jener Zeit geschlafen oder im Zimmer gespielt habe. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Kinder die Gewalt zuhause fast immer mitbekommen, manchmal bewusst, manchmal unbewusst durch die gedrückte, spannungsvolle Stimmung. Indirekte Gewalterfahrung kann ebenso traumatisierende Folgen und die gleichen Symptome haben wie direkt erfahrene Gewalt.

Mögliche Folgen häuslicher Gewalt für die betroffenen Kinder:

  • körperliche Verletzungen
  • psychosomatische Störungen (Bettnässen, Bauch- oder Kopfschmerzen, Albträume etc.)
  • Scham- und Schuldgefühle
  • Isolation (z.B. Angst, Freundinnen oder Freunde nach Hause zu nehmen)
  • Schulschwierigkeiten (Konzentrationsschwierigkeiten, Abwesenheiten, etc.)
  • Erwachsenenverhalten und Rollenverdrehung (übermässig Verantwortung übernehmen)
  • Passivität (gelernte Hilflosigkeit)
  • Depression, Selbsthass
  • Loyalitätskonflikte

Forschungen zeigen, dass es zentral ist, wie die Gewalt erlebt und wem die Schuld dafür gegeben wird. Gelingt es einem Kind, sich nicht schuldig zu fühlen, für das, was in der Familie passiert ist, sind die Chancen besser, dass es keine Störungen entwickeln wird. Aus der Resilienzforschung ist bekannt, dass ein wichtiger Schutzfaktor eine Bezugsperson ist, die auch ausserfamiliär sein kann.

Gewalt und ihre Folgen

Ob und mit welchen Folgen Betroffene auf die erlittene Gewalt reagieren, hängt von der Art und Dauer der Misshandlungen, vom gesellschaftlichen Umfeld und von den persönlichen und sozialen Ressourcen ab. Wie die Reaktionen des Umfeldes sind, ist ganz entscheidend für die Folgen und die Verarbeitung der erlebten Gewalt: 

  • Wird der Betroffenen, dem Betroffenen geglaubt?
  • Erhält sie oder er Unterstützung im unmittelbaren Umfeld?
  • Wie wird die erlittene Gewalt gesellschaftlich betrachtet?
  • Wird die Gewalt und Bedrohung beendet? Kann sie oder er sich sicher fühlen?
  • Stehen Möglichkeiten für die Verarbeitung der Gewalterfahrungen zur Verfügung?

Gewaltbetroffene Personen haben meist unter gesundheitlichen Problemen körperlicher und psychischer Art zu leiden. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen kommen sehr häufig auch soziale Probleme wie Stigmatisierung und als Folge soziale Isolation.

Besonders Frauen, die sich von ihren gewalttätigen Partnern trennen, sind häufig mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert. Die immer noch vorhandene strukturelle Ungleichbehandlung von Frauen im Erwerbsleben führt oft dazu, dass sie nach einer Trennung oder Scheidung finanziell nicht unabhängig sind und Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen. Ausländische Frauen haben zusätzlich Probleme hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus in der Schweiz zu befürchten, da sie aufenthaltsrechtlich oft von ihrem Ehemann abhängig sind. Die volkswirtschaftlichen Kosten häuslicher Gewalt werden in der Schweiz pro Jahr auf rund 400 Millionen Franken geschätzt. Diese Schätzung umfasst Folgekosten für die medizinische Behandlung, Polizei, Justiz, opferbezogene Unterstützung (wie Sozialhilfe, Opferhilfe etc.).

Die Dynamik häuslicher Gewalt

Oft ist es für Angehörige von Betroffenen oder für involvierte Fachpersonen schwierig nachzuvollziehen, warum Betroffene so lange bei gewaltausübenden Beziehungspartnern ausharren, warum sie nicht schon viel früher Hilfe geholt haben oder warum sie nach einer Trennung wieder in die gleiche Situation zurückkehren.

Die Ursache für ein solches Verhalten liegt an der speziellen Dynamik, die für Gewalt in Beziehungen charakteristisch ist. In den meisten Misshandlungsbeziehungen wird die Gewalt von der gewaltausübenden Person systematisch eingesetzt, um das Gegenüber ständig in einer unterlegenen Position zu halten. Die Übergriffe beginnen meist subtil (psychischer Druck, Kontrolle, Kontakteinschränkungen, Beschimpfungen etc.). So fällt es vielen Betroffenen schwer, den eigentlichen Beginn der Gewaltanwendungen zu benennen. Die ersten körperlichen Misshandlungen können dann sehr plötzlich und für die Betroffenen aus nichtigem Anlass auftreten. Betroffene leiden oftmals unter Selbstzweifeln und übernehmen die Verantwortung für die erlebte Gewalt. Die so genannte Gewaltspirale nimmt ihren Lauf und erschwert es Betroffenen, sich aus der gewaltbelastenden Situation zu befreien.

Die Gewaltspirale
Forschungen der US-amerikanischen Psychologin Leonora Walker zeigen, dass Gewalt gegen Frauen zyklisch verläuft. Der Zyklus der Gewalt läuft in drei Phasen spiralförmig ab:

1. Phase: Spannungsaufbau
Die Frau wird beschimpft, gedemütigt, abgewertet, eingeschränkt, kontrolliert, manchmal auch körperlich misshandelt. Sie ist einerseits froh, dass die Misshandlungen nicht schlimmer sind, anderseits hat sie Angst vor weiteren Gewalttaten. Diese versucht sie zu verhindern, indem sie sich bemüht, dem Mann «alles recht zu machen», ihn nicht zu provozieren und heikle Themen nur dann anzusprechen, wenn er gut gelaunt scheint. Dafür muss sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Mann ausrichten, eigene Gefühle wie Wut, Angst und Trauer werden unterdrückt.

2. Phase: Akute Misshandlung
Die Frau verfügt über fast keinen Handlungsspielraum mehr. Ihr Wille, ihre Bedürfnisse und Rechte sind für den Täter nicht von Belang. Die Frau weiss nicht, wann der Gewaltakt zu Ende sein wird, sie weiss nicht, welche Misshandlungen noch folgen werden, und keine ihrer Reaktionen führt dazu, dass der Mann mit der Gewalt aufhört.

Während des Gewaltaktes stehen der Frau zwei Verhaltensweisen offen: Sie kann sich zur Wehr setzen oder zu fliehen versuchen. Wenn weder das eine noch das andere möglich ist, muss die Frau die Misshandlungen erdulden, was sehr grosse Ohnmacht und Hilflosigkeit auslöst. Manche Frauen geraten in einen emotionalen Schockzustand, der Stunden oder Tage dauern kann. Wenn dieser abklingt, können einige Frauen Hilfe holen und/oder den Täter anzeigen.

3. Phase: Ruhe, Reue und liebevolle Zuwendung
Diese Phase wird von beiden Seiten positiv erlebt. Zu Beginn möchte die Frau noch am liebsten fliehen oder Hilfe suchen. Die Erinnerungen an die erlebten Misshandlungen sind frisch, manchmal hat die Frau auch körperliche Verletzungen davongetragen. Der Mann dagegen fürchtet, zu weit gegangen zu sein. Er setzt alle Hebel in Bewegung, um die Frau nicht zu verlieren: Er bittet und bettelt, macht Versprechungen und Geschenke, weint. Manche Männer ziehen auch Verwandte und Freunde bei, um die Frau zu überzeugen. In der Hoffnung, dass sich der Partner nun wirklich verändere, ziehen Frauen häufig die Anzeige oder Trennungsklage wieder zurück oder kehren aus dem Frauenhaus nach Hause zurück. Von zehn betroffenen Frauen, die Anzeige erstattet haben, ziehen drei diese wieder zurück. Wenn jedoch weder Frau noch Mann Hilfe von aussen suchen, setzt schleichend wieder die Phase des Spannungsaufbaus ein. Sehr häufig dreht sich die Spirale daraufhin immer schneller. Der Mann versucht häufig, eine Trennung mit Gewalt und/oder Drohungen zu verhindern. In dieser Phase sind Frauen besonders gefährdet. Die Erfahrung zeigt, dass in dieser Phase die meisten Tötungsdelikte im Rahmen häuslicher Gewalt verübt werden.

Mit jedem Zyklus wird sich die Frau schuldiger fühlen und der Mann stärker. Für die Frau wird es deshalb immer schwieriger, ihn zu verlassen. Eine grosse Rolle spielt auch die Tatsache, dass die Frau mit ihrem Partner nicht nur negative Erfahrungen macht. Meistens ist er zwischendurch liebevoll, aufmerksam, zärtlich. Die Frau weiss jedoch nicht, wann der Mann wie sein wird. Sein Verhalten und die Misshandlungen sind nicht vorhersehbar. Einerseits ist das für die Frau mit grossem Stress verbunden. Andererseits nähren positive Episoden bei ihr aber auch die Hoffnung, dass sich vielleicht doch irgendwann alles zum Guten wende. Dies macht es der Frau sehr schwer, dem Kreislauf der Gewalt zu entrinnen, sich aus ihm zu befreien.

Eine Trennung ist schwierig. Um sich von einem gewalttätigen Menschen trennen zu können, müssen die Betroffenen nicht nur ihre emotionale Abhängigkeit überwinden, sie müssen sich auch auseinandersetzen mit den

  • ökonomischen Folgen
  • sozialen Folgen
  • kulturellen Folgen und
  • ressourcenbezogenen Konsequenzen einer Trennung oder Scheidung 
  • aufenthaltsrechtliche Folgen ausländischer Frauen

Ehrverbrechen & Zwangsheirat

Als Gewalt oder Verbrechen im Namen der Ehre bezeichnet man Gewalttaten an Personen, die die Ehre ihrer Familie oder Gemeinschaft verletzt haben sollen. Um die Ehre wieder herzustellen, wird die «fehlbare» Person bestraft. Ehrverbrechen umfassen verschiedenste Formen von psychischer Gewalt wie Unterdrückung, Bedrohung und Erpressung sowie körperliche Gewalt wie Misshandlungen, Folter und den Ehrenmord in ihrer extremsten Form. Aber auch Verstossung und Zwangsheirat zählen dazu.

Eine Zwangsheirat liegt dann vor, wenn Braut oder Bräutigam zur Ehe gezwungen wurden. Eine klare Abgrenzung zur arrangierten Ehe kann nicht gemacht werden, da die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang oft fliessend sind. Gemäss Zivilgesetzbuch kann eine Ehe für ungültig erklärt werden, wenn sie unter ernst zu nehmender Drohung zustande kam. Im Strafgesetz gibt es keine explizite Strafnorm.

 


«Schuld sind wir Frauen, weil wir Frauen sind.»

Serap Cileli, 2006

Von Vorurteilen und Mythen

Es besteht eine grosse Diskrepanz zwischen Fakten und Zahlen zum Thema häusliche Gewalt und den dazu verbreiteten Meinungen und Vorurteilen. Diese Mythen erschweren es den Betroffenen, über ihre Situation zu sprechen, verhindern wirkliche Hilfe und führen dazu, dass Betroffene die Schuld bei sich selbst suchen.

Es handelt sich nicht um Gewalt, die beiden «streiten» nur miteinander
Es ist wichtig genau hinzuschauen und zwischen Streit und Gewalt zu unterscheiden.

Gewalt in der Familie ist Privatsache, niemand soll sich einmischen
Gewalttaten sind strafbare Handlungen, egal ob sie innerhalb oder ausserhalb der Familie verübt werden.

Betroffene, die misshandelt werden, scheinen dies zu wollen, sonst würden sie gehen
Betroffene wollen, dass die Gewalt aufhört, möchten jedoch ihre Ehe oder Beziehung aufrechterhalten. Sie versuchen vieles, um die Situation zu verändern. Eine Trennung ist schwierig, braucht Mut, Unterstützung und Zeit.

Betroffene «provozieren» Gewalt oder verdienen sie in irgendeiner Weise
Gewaltausübende benutzen die Kritik am Opfer als Entschuldigung für die Gewalthandlungen. Es gibt jedoch kein «Fehlverhalten», das Gewalt rechtfertigen würde. Die Erfahrung zeigt, dass häusliche Gewalt nicht von alleine aufhört, sondern an Schwere und Häufigkeit zunimmt.

Betroffene Frauen erfinden Misshandlungen, um sich Vorteile bei der Scheidung zu verschaffen
Die Dunkelziffer der Gewalttaten im Rahmen häuslicher Gewalt ist sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit, dass Gewalttaten gar nicht bekannt bzw. angezeigt werden, ist gross. Die Erfahrung zeigt, dass betroffene Frauen die erlittene Gewalt eher bagatellisieren, als dass sie diese übertreiben.

Männer sind von häuslicher Gewalt nicht betroffen
Auch Männer können von häuslicher Gewalt betroffen sein. Allerdings gibt es darüber bis heute nur wenige Untersuchungen. Die wenigen Studien, die auch Gewalt gegen Männer durch ihre Partnerinnen erfassen, geben an, dass bei fünf bis zehn Prozent der Gewaltfälle ein Mann das Opfer ist.

Gesetze, die greifen

Bei häuslicher Gewalt können verschiedene Rechtsbereiche relevant sein, die jeweils ein unterschiedliches Ziel beabsichtigen. Bedeutend für den längerfristigen Schutz von Opfern sind die Bestimmungen des Opferhilfe- und des Zivilrechts. In akuten Gewaltsituationen kann auch das jeweilige kantonale Polizeigesetz kurzfristigen Schutz bieten. Das Strafgesetz hingegen fokussiert vor allem die angeschuldigte Person bzw. deren Bestrafung oder Freisprechung. Es empfiehlt sich in jedem Fall, eine entsprechende Beratungsstelle (Opferhilfe, Frauenhaus etc.) zu konsultieren.

Opferhilfegesetz
Das Opferhilfegesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG) sieht für jede Person, die in ihrer psychischen, körperlichen oder sexuellen Integrität beeinträchtigt worden ist, besondere Hilfe vor. Dies bedeutet, dass auch Personen, die im Rahmen von Familie, Ehe oder Partnerschaft Gewalt erfahren haben, Recht auf soziale, psychologische, juristische und materielle Unterstützung haben. Zuständig sind die kantonalen Opferberatungsstellen.

Zivilgesetz
Nach Art. 28b ZGB kann eine betroffene Person bei Persönlichkeitsverletzungen durch Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen beim zuständigen Zivilgericht einen Antrag auf Schutzmassnahmen stellen wie Annäherungs-, Orts- und Kontaktaufnahmeverbot. Zudem kann das Zivilgericht eine Wegweisung aus der gemeinsamen Wohnung verfügen. Das Gericht hat nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip eine Massnahme festzulegen, die für die betroffene Person genügend wirksam und für den Täter/die Täterin am wenigsten einschneidend ist. Die klagende Person muss mit der gewaltausübenden Person weder verheiratet sein noch in einer eingetragenen Partnerschaft leben, um beim Zivilgericht klagen zu können. Verheiratete Personen können die genannten Fernhaltemassnahmen auch im Rahmen des Trennungsverfahrens anfordern.

Strafgesetz
Gewalttätige Handlungen sind auch in Paarbeziehungen gesetzlich verboten. Straftatbestände wie einfache oder schwere Körperverletzung, schwere Drohungen, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung u.a. sind sogenannte Offizialdelikte und müssen von Amtes wegen strafrechtlich verfolgt werden. Eine Strafanzeige gegenüber der gewaltausübenden Person muss somit nicht zwingend von der betroffenen Person erhoben werden, sondern wird automatisch eingeleitet, wenn eine Strafuntersuchungsbehörde (Polizei, Amtstatthalteramt, Gerichte) davon Kenntnis nimmt.

Fachpersonen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich haben in der Regel keine Anzeigepflicht und sollten eine Meldung gegenüber den zuständigen Behörden nur unter Zustimmung der betroffenen Person erstatten. Die Beweisanforderungen im Strafverfahren sind hoch und eine Anzeige kann den Druck auf die betroffene Person zusätzlich erhöhen. Es ist deshalb wichtig, vorgängig mit einer Fachperson abzuklären, ob eine strafrechtliche Intervention sinnvoll ist. Strafverfahren haben in erster Linie das Ziel, eine angeschuldigte Person zu bestrafen oder freizusprechen. Um die Sicherheit der Betroffenen zu erhöhen, kann ein Zivilverfahren angebrachter sein.